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Akzent

Zwischen do it yourself und all-inclusive

12.11.2019 / 19.00–21.00 Uhr

Grundsätzlich sind Wohnbaugenossenschaften private Selbsthilfeorganisationen. Wie weit sich die Genossenschafter bzw. Mieterinnen und Mieter im Alltag selbst helfen, in Grosswohnungen organisieren oder sich in Kleinwohnungen zurückziehen, welche Gemeinschaftsräume gewünscht sind und ob sie sich «lohnen», wird anhand von konkreten Beispielen beleuchtet. Im Rückblick...


Tanja Herdt stellte in ihrem Start-Input ein gemeinsames Forschungsprojekt mit dem Bundesamt für Wohnungswesen BWO zum Thema Cluster-/Micro-Wohnen vor, das sich folgende Fragen stellte: Ist es bezahlbar? Funktioniert das Zusammenleben? Wie überträgt man ein Experiment in die Wohnzukunft? Sie hat 53 Projekte in der Schweiz, in Deutschland und Österreich untersucht. In diesen Ländern, allen voran die Schweiz mit fast 40 %, könne eine starke Zunahme an Ein-Personen-Haushalten festgestellt werden. Drei- bis vierköpfige Familien machten nur noch knapp 25 % aus und dies vor allem in den Städten und Agglomerationen. Diese Trends würden sich – angesichts der demographischen Veränderungen – wohl noch verstärken.

Micro- und Cluster-Wohnen könnten eine Antwort auf die Frage nach dem haushälterischen Umgang mit Boden und Ressourcen sein. Tanja Herdt erläuterte nicht nur die unterschiedlichen Definitionen (siehe Downloads) der beiden Begriffe, sondern nannte auch mögliche Gemeinschaftsflächen: Partyräume und Ateliers, Werkstätten und Gartenflächen.

Die Präsentation von Claudia Thiesen spannte einen Bogen der Weiterentwicklung vom 2001 fertiggestellten Kraftwerk1 mit Grosshaushalten und «Suiten» über die Folgeprojekte im Heizenholz und auf dem Hunziker-Areal mit seinen Clusterwohnungen bis hin zu Zwicky-Süd. Sie schilderte die Lektionen und wie das daraus Gelernte nun im aktuellen Projekt Hobelwerk (Cluster- und Micro-Wohnen) in Winterthur einfliesse. Auch gab sie einen Einblick zu den Fortschritten, die ihre Genossenschaft als einer von drei Bauträgern auf dem Koch-Areal in Zürich, macht. Sie stellte fest, dass Clusterwohnen im Trend sei, auch wenn längst nicht alle so wohnen wollten. Generell hielt sie fest, das Wohnen für sie kein Markt sei, sondern ein Bedürfnis, für das zukunftsfähige Lösungen zu finden seien.

Als Präsidentin der ABZ, der grössten Baugenossenschaft der Schweiz, hob Nathanea Elte aus den Statuten ihrer Genossenschaft drei Punkte hervor: Jene zu Mitwirkung, zum Zusammenleben und zur Integration von Neuzuzügern. Die ABZ führe neue Mitglieder gezielt ein, erkläre ihnen die verschiedenen Gremien, die Rechte und Pflichten und die ehrenamtlichen Aufgaben, bei denen sich viele Bewohnende engagieren. Die ABZ versuche mit verschiedenen Massnahmen, unter anderem mit der selbst entwickelten Marktplatz-App (Agenda, Tausch, Einladungen usw.) oder beispielsweise mit der Wegführung durch die Quartiere Begegnungen herbeizuführen und Räume anzubieten. Zwar gebe es bei der ABZ keine Clusterwohnungen, dafür aber seit geraumer Zeit verschiedene Hausgemeinschaften (55+, Generationenwohnen, Alleinerziehende). Für alle habe man Vergabekriterien erarbeitet und sorgfältig angewandt.
Schliesslich kam sie auf das Projekt Auf dem Koch-Areal zu sprechen und darauf, wie in einem Hochhaus mit 150 Wohnungen Gemeinschaft entstehen könne. So plane man Dachgarten, Gemeinschaftsräume und -treppenhäuser auf Zwischengeschossen und den Park zwischen den Gebäuden entsprechend umsichtig und grosszügig.

Johannes Eisenhut, Immobilienentwickler bei Senn Development, sah sich fast den ganzen Abend als eine Art Anti-These, da er hauptsächlich für Private entwickle (wobei Genossenschaften ebenfalls private Bauträger sind), für Private, die Wert darauf legen, dass ihnen gehört, wofür sie bezahlt hätten. Und Privatheit sei seinen Auftraggebern viel wert. Dementsprechend präsentierte er vor allem Objekte und Projekte, die wenig Brachflächen und wenige Gemeinschaftsräume aufwiesen, aus ökonomischem Druck, wie er es nannte. Er wies aber auch auf einen markanten Unterschied zwischen seinen Projekten und beispielsweise Zwicky-Süd hin: Wo Kraftwerk gewissermassen alles, auch Läden, Treffpunkte und anderes auf die grüne Wiese bauen musste, entstünden Senn-Projekte eher im Zentrum, wo im Umfeld schon alles vorhanden sei. Und zum Schluss zeigte er ein Projekt (Koch-Areal), bei dem Senn zur Zeit Seite an Seite mit den Genossenschaften ABZ und Kraftwerk1 arbeitet.

Wie um das Eis zu brechen, fragte Tanja Herdt ins Publikum, wer sich vorstellen könne, in einer Clusterwohnung zu leben, und erntete hauptsächlich Kopfschütteln. Johannes Eisenhut meinte, der Anspruch auf Privatheit steige oder sinke mit der Toleranz, die jemand aufbringen könne. Jemand sagte, die Frage, wie die Gesellschaft mit der wachsenden Zahl an Ein-Personen-Haushalten ökologisch und sozial umgehen könne, sei dringlich. Ausserdem werde der Vermietungsaufwand grösser, je kleiner die Wohneinheiten würden.
Jemand sprach von «Zwangsgemeinschaft», wenn die Balance zwischen Gemeinschaft und Rückzugsmöglichkeiten nicht stimme. Es meldeten sich aber auch mahnende Stimmen zu Wort, zum steigenden Wohnflächenverbrauch, aber auch zur Klima-Situation. Der Sharing-Gedanke sei doch gerade beim Wohnen sinnvoll, da auch Platz sparend und Ressourcen schonend. Dennoch: Die Skepsis überwog. So fragte jemand, ob denn Hong Kong ein Massstab sei, ob man sich schuldig fühlen müsse, wenn man nicht zu Zehnt in einem Zimmer wohne.
Tom Schlepfer hatte eine konkrete Frage: In einer Ausschreibung des Kraftwerk1 sei der Begriff «1-Raum-Wohnung zum Selbstausbau» vorgekommen. Was damit gemeint sei. Claudia Thiesen erläuterte, man habe einerseits herausfinden wollen, ob Bauen (Überlassen im Rohbau) noch günstiger gehe und andererseits auch dem Aspekt der Selbstverwirklichung Rechnung getragen. Andreas Wirz, Vorstand bei Wohnbaugenossenschaften Zürich, regte an, statt an Verzicht das ganze anders herum zu denken. Die Fragen lauteten doch «Wieviel brauche ich überhaupt? Haben andere Wohnformen andere Qualitäten?».
Und Johannes Eisenhut fügte an, für ihn seien Liegenschaften wie die Hardware, Eigentum, Genossenschaft und Miete dagegen seien verschiedene Betriebssysteme. Hauptsache: kompatibel.

Moderation: Tanja Herdt (ETH Wohnforum) Präsentation >
Podiumsteilnehmende: Claudia Thiesen (Leitung Baukommission BG mehr als wohnen, Koordination Koch-Quartier Zürich...) Präsentation >
Nathanea Elte (Präsidentin Allgemeine Baugenossenschaft Zürich ABZ) Präsentation >
Johannes Eisenhut (Immobilienentwicklung Senn Development) Präsentation >