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Debatte

Und jetzt? – Finden wir den gemeinnützigen Nenner!

23.01.2020 / 19.00–21.00 Uhr

«Genossenschaft» ist eine liberale Idee. Eine Idee, die auch Linke gut finden. Womit sich die Liberalen wiederum anfreunden müssen. Wie schaffen wir den gemeinnützigen Nenner für Politik und Gesellschaft? Bei dieser Debatte versuchten wir, Nägel mit klugen Köpfen aus allen Parteien zu machen und herauszufinden, auf welche Gemeinsamkeiten wir künftig aufbauen können.


Christian Portmann stellte in seiner Einführung klar, dass sich gemeinnützige Wohnbauträger von anderen gemeinnützigen und ZEWO-zertifizierten Organisationen klar unterschieden. Letztere müssten ihre Einnahmen nicht versteuern, ganz im Gegensatz zu den Wohnbaugenossenschaften. «Die Wohnraumförderung hat im Bundesgesetz eine eigene Definition von Gemeinnützigkeit.» Dann kam er auf die DNA und die vordringlichen Aufgaben der gemeinnützigen Wohnbauträger zu sprechen, zum Beispiel den Boden dauerhaft der Spekulation zu entziehen. Land, das einmal im Besitz einer Genossenschaft sei, komme nicht mehr auf den Markt, unterliege also keinen weiteren Preissteigerungen (was sich günstig auf die Miete auswirkt). Als zweites sei das Prinzip der Kostenmiete – dass die Miete den Kosten entspreche, die sie verursacht – sehr wichtig. Seit hundert Jahren sei aber auch der Solidaritätsgedanke ein wichtiger Treiber für die Genossenschaften. Da wir aktuell in einer individualisierten Gesellschaft lebten, sei es sicher nicht falsch, die Genossenschaftsidee und den Begriff der Gemeinnützigkeit heute zu hinterfragen.

Karin Salm fragte gleich zu Anfang, ob sich bei den Podiumsteilnehmenden beim Begriff «gemeinnützig» die Nackenhaare aufstellen. Philipp Kutter verneinte klar. Er sei ein grosser Freund von Gemeinnützigkeit in allen Belangen. Wo er herkomme, sei das Gemeinschaftliche sehr wichtig. Auch habe er in jungen Jahren genossenschaftlich gewohnt, finde den Groove gut und sei davon überzeugt, dass es diese Wohnform brauche.
Jacqueline Badran sagte, Gemeinnützigkeit gehöre zu ihren Lieblingsworten. Sie ergänzte, der Begriff sei übrigens nicht 100, sondern 800 Jahre alt, verbrieft als Genossamen (ungefähr 3740 Google-Treffer) festgehalten, als sich Menschen gemeinsam gegen die Abgabe des Zehnten an die Bodenbesitzer wehrten. Sie hätten den Boden in Besitz genommen, demokratische Formen entwickelt und gemeinsam ausgehandelt, wer wieviel aus dem Boden holen dürfe.
Michael Zeugin, nach dem gemeinsamen Nenner von Politik und gemeinnützigem Wohnungsbau gefragt, antwortete, für ihn seien die Gemeinnützigkeit, dass man sich für gemeinsame Ziele zusammenschliesse und die Hilfe zur Selbsthilfe durchaus zeitgemäss.
Für Marc Bourgeois sind Genossenschaften für die Interessen ihrer Mitglieder zuständig, also gemeinnützig im kleinen Rahmen. Je weiter weg man von etwas sei, umso schwerer sei es, damit solidarisch zu sein. Im übrigen sei auch Politik (im Miliz-System) gemeinnützig. In Bezug auf das Wohnen – vor dem Hintergrund unerschwinglicher Bodenpreise – werde es immer wichtiger, andere Organisationsformen zu finden.

Karin Salm fragte Christoph Marty, ob denn auch Zusammenschlüsse im Stockwerkeigentum gemeinnützig seien. Dieser meinte, dies sei durchaus eine Solidargemeinschaft, aber eine ganz andere Rechtspersönlichkeit. Aber auch die Genossenschaften hätten sich im Laufe der Zeit verändert. Da gebe es Genossenschaften, die zig-tausend Wohnungen vermieteten und richtige Konzernstrukturen entwickelt hätten. Da müsse man sich schon fragen, ob die Rechtsform der Genossenschaft überhaupt noch angemessen sei. Karin Salm hakte nach und wollte wissen, was denn störend daran sei. Es störe ihn nicht. Man müsse bei der Vielfalt an Genossenschaften einfach differenzieren. Philipp Kutter ergänzte, Genossenschaften leisteten viel, seien aber in erster Linie ihren Mitgliedern verpflichtet. Man dürfe das also nicht überhöhen und so tun, als würden sie die Gesellschaft retten. Jacqueline Badran knüpfte bei einer Bemerkung von Michael Zeugin an, dass sich Gemeinnützigkeit ja nicht nur auf den Boden beziehe. Schon an der HSG in St. Gallen sei gelehrt worden, dass der Boden-Faktor ein ganz besonderer sei. Er gehöre wie Luft und Wasser – da nicht vermehrbar – zu den essentiellen Gütern. Das Kapital zu allen Zeiten sei immer der Boden gewesen. Und heute sei dieser mit 4 Billionen Franken der mit Abstand grösste Kapital-Posten in der Schweiz, und die damit erwirtschaftete «Bodenrendite» entziehe Markt und Menschen die liquiden Mittel.
Marc Bourgeois stimmte ihr in einigen Punkten zu, auch wenn ihm dieses Votum ein wenig zu kommunistisch daher gekommen sei. Er glaube ausserdem, dass in den kommenden Jahren – gerade weil der Boden knapp werde – vermehrt in die Höhe gebaut würde. Auch Michael Zeugin pflichtete ihr «im Grundsatz» bei. Er habe darüber hinaus festgestellt, dass die Wohnbaugenossenschaften in der Schweiz in den letzten zehn, zwanzig Jahren vor allem als Innovationstreiber gute Antworten gefunden hätten, sei es bei neuen Wohnformen, kleineren Wohnungen oder energetischen Sanierungen, was sich wiederum auf die ganze Gesellschaft ausgewirkt habe.

Bei Karin Salms Frage, wieviele Genossenschaften es denn brauche, holte Christoph Marty etwas aus. Im Jahr 1900 hätten zwei Millionen Menschen in der Schweiz gelebt. Heute seien es fast neun Millionen; die Bodenfläche sei aber nicht gewachsen. Boden sei aber für eine neue Genossenschaft entscheidend. Leider sei Land heute aber so exorbitant teuer, dass auch eine Genossenschaft darauf keine Wohnungen mit günstigen Mieten bauen könne. «Das sagt jemand, der im Stiftungsrat der PWG ist?» fragte Karin Salm etwas ungläubig. «Ja, vor knapp 30 Jahren – mitten in der Immobilienkrise – ist die PWG gegründet worden. Damals konnte – im Vergleich zu heutigen Verhältnissen – ausgesprochen günstig gekauft werden. Die PWG steht heute auch in diesem Spannungsverhältnis. Das, was heute gekauft wird, ist exorbitant teuer und viel teurer, als es tatsächlich wert ist.» Jaqueline Badran fragte nach: «Du hast gesagt, sie (die Liegenschaften) seien es nicht wert, es seien Marktpreise...?»

Philipp Kutter erklärte, dass es durchaus im Sinn einer Gemeinde sein könne, Land zu einem hohen Preis zu kaufen und zu einem ermässigten Preis einer Wohnbaugenossenschaft zur Erstellung von günstigen Wohnungen weiterzugeben. Dies sei durchaus mehrheitsfähig, auch in Gemeinden, in denen SVP, FDP und CVP in der Mehrheit seien. In der vergünstigten Weitergabe steckten aber Steuergelder. Er wolle nicht über 800 Jahre Bodenrecht diskutieren, sondern praktisch. Kauf und günstige Weitergabe sei ein Ansatz, der für Gemeinden funktioniere. Ein zweiter Ansatz sei, bei grossen Arealen (und Gestaltungsplänen) entsprechende Auflagen – wie zum Beispiel ein Drittel der neuerstellten Wohnungen gemeinnützig – zu machen. Jacqueline Badran stellte das «vergünstigt» in Abrede, auch, weil Baurechte und die entsprechenden Zinserträge gegenüber anderen Investments viel lukraftiver seien und das Land im Volksvermögen bliebe. Philipp Kutter liess sich nicht auf diese Diskussion ein und bekräftigte stattdessen, Landabgaben an Genossenschaften würden von den Stimmbürgern akzeptiert, weil man wisse, dass damit mehr günstige Wohnungen, Lösungen für das Wohnen im Alter und vieles mehr ermöglicht würden.

Karin Salm fragte anschliessend, was die Politikerinnen und Politiker nun von den Wohnbaugenossenschaften erwarteten. Christoph Marty erwarte, dass die Genossenschaften seriös wirtschafteten, wie sie es auch täten in ihrem Wirkungskreis. Sie seien für sich selbst verantwortlich. Er habe deshalb keine weiteren Erwartungen an sie zu stellen. Er sehe aber ganz ein anderes Problem – und er nahm damit Bezug auf eine andere Frage von Karin Salm, die bislang unbeantwortet blieb: «Jetzt hat sich etwa ein Drittel eine günstige Wohnung sichern können, die ganz massiv unter Marktwert vermietet wird. Aber was ist mit den anderen zwei Dritteln? Die sind ganz massiv schlechter gestellt.» Er habe auch keine Lösung dafür. Aber das Systeme, so, wie wir es heute hätten, stimme einfach nicht.
Auf die Frage nach den Erwartungen antwortete Marc Bourgeois, der gemeinnützige Wohnungsbau sei das Zukunftsmodell für urbane Gebiete. Er stellte auch fest, dass – entgegen der landläufigen Meinung – Genossenschaften politisch weder links noch rechts seien, und auch das mit den Subventionen stimme nicht. Die meisten seien nicht subventioniert. Wo aber Subventionen flössen, erwarte er, dass damit die Durchmischung weiterhin sichergestellt werde. Dies sei der Grund, warum wir keine Ghettos und sehr wenig Probleme mit Ausländern hätten. Dies sei förderungswürdig.
Philipp Kutter meinte, dass er sehe, dass Genossenschaften auf die zwei Megatrends «Alterung» und «Individualisierung» der Gesellschaft oftmals die besseren Lösungen hätten, im Vergleich zu anderen Wohnbauträgern. Dies wäre sein Wunsch und dort sehe er auch eine Chance: wenn die Genossenschaften mutig und kreativ zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beitrügen.
Aus aktuellem Anlass kam Jacqueline Badran noch auf die Abstimmung vom 9. Februar zu sprechen und kritisierte den Flyer des NEIN-Kommitees, der einfach Binsenfalschheiten verbreite. Deshalb wünsche sie sich – vor allem vom Verband, der ja immer auch Spielball der Politik sei – dass man vermehrt aktiv hinstehe und gegen solche Anwürfe Stellung beziehe.

Danach gab Karin Salm das Mikrofon für Fragen und Einwände ins Publikum. Jemand sprach die zahlreichen Auflagen an, die die Stadt Zürich den Genossenschaften machte. Jemand anderes sei mit der Erwartung gekommen, dass an diesem Abend nach dem gemeinsamen Nenner gesucht würde. Was sie aber gehört habe, sei nur ein Streitgespräch gewesen, wo es doch so viele Gemeinsamkeiten gäbe. Es seien jetzt so viele positive Einflüsse von Gemeinnützigen erwähnt worden. Und sie fragte: «Warum wird es dann nicht prinzipiell mehr gefördert? Warum wird dann nicht der Wille entwickelt, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen?» Jacqueline Badran entgegnete, dass die gesellschaftlichen Vorzüge gerade bei Gemeindepräsidenten, die Genossenschaften in ihrer Gemeinde hätten, unbestritten seien. Man müsste aber mehr über die wirtschaftlichen Aspekte diskutieren. Dort schieden sich die Geister. Sie wunderte sich auch, warum das Gewerbe nicht reklamiere, da ihm jährlich 14 Milliarden Franken entgingen, die nicht mehr dem Konsum zur Verfügung stünden. Für Marc Bourgeois stand fest, dass sich die Genossenschaften ständig weiterentwickelten. Ausserdem gebe es zu ihnen gar nicht so viele Alternativen.

Aus dem Publikum meldete sich auch Urs Hauser, Direktor von Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Er monierte, dass es gar keine Anreizsysteme für den gemeinnützigen Wohnungsbau in der Schweiz gebe. Auch wunderte er sich, dass die Gemeinnützigen, obwohl sie nur einen Marktanteil von ca. 5 % hätten, eine ungleich grössere Bedeutung (im Bewusstsein) der Bevölkerung hätten.

Nach einer kurzen Zusammenfassung, wiederum durch Christian Portmann, diskutierte ein grosser Teil der Zuhörerinnen und Zuhörer bei Bier, Wein und Wasser noch zwei gute Stunden weiter miteinander über mögliche Wege zu einem gemeinsamen Nenner.

Begrüssung/Einleitung: Christian Portmann (Präsident Wohnbaugenossenschaften Zürich)

Moderation:
Karin Salm, Journalistin

Podiumsteilnehmende: Marc Bourgeois (FDP-Kantonsrat), Michael Zeugin (GLP-Kantonsrat), Jacqueline Badran (SP-Nationalrätin), Christoph Marty (SVP-Gemeinderat ZH und Stiftungsrat PWG) und Philipp Kutter (Stadtpräsident Wädenswil und CVP-Nationalrat)