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Akzent

Die jungen Wilden: angekommen in der Zukunft?

03.12.2019 / 19.00–21.00 Uhr

Was kommt nach den ehemals jungen Wilden – Genossenschaften wie Kraftwerk1, Kalkbreite und mehr als wohnen? Welche Lehren ziehen diese aus ihren Konsolidierungsphasen? Und: Werden wir Zeuge, wie die Genossenschaften 3.0 möglicherweise als Sharing Communities auf einen Mix aus alten Tugenden und nachhaltigem Bewusstsein bauen? Im Rückblick...


An diesem Abend interessierte die Sichtweise der Organisation: Wie entwickeln sich die Pioniergenossenschaften der frühen 90er-Jahre weiter? Ist es einfach more of the same? In welcher Rolle sehen sich die nachfolgenden Genossenschaften? Lassen sich ihre Modelle auch an weniger urbane Orte transferieren? Was heisst das für die Genossenschaften? Sucht man nach Missionaren, welche die urbanen Modelle in der Agglomeration betreiben?

Andreas Wirz, Vorstand von Wohnbaugenossenschaften Zürich und Gastgeber des Abends, ging es darum herauszufinden, wo die sogenannt jungen Wilden heute stünden und wo sie hinwollten. Er räumte auch ein, dass das Podium genau genommen nicht vollständig sei. Auch Genossenschaften wie die Gesewo oder die Wogeno gehörten für ihn in diese Kategorie, seien sie doch ebenfalls in jüngerer Zeit und aufgrund des Drucks steigender Mietzinse und drohender Liegenschaftenverkäufe entstanden. Ausserdem stellte er fest, dass – im Publikum zahlreich vertreten – auch Genossenschaften mit dem Thema 55+ heute zu den treibenden Kräften gehörten.
Als Verbandsvertreter stelle er sich die Fragen: Ist man schnell zufrieden? Wird man faul und zieht sich zurück, wenn das eigene Projekt realisiert ist? Die Genossenschaftsbewegung sei in den 80er-Jahren eingeschlafen. Nun gelte es, diese wieder zu beleben. Die jungen Wilden indes hätten davon profitiert, dass in den 80er- und 90er-Jahren bei der landesweiten Immobilienkrise eine Abschreibung von 30 % vorgenommen worden sei. Dies ermöglichte ihnen die Übernahme von Brachen und ehemaligen Industrie-Arealen zu bezahlbaren Bodenpreisen. Was man in dieser Zeit ebenfalls unter Beweis gestellt habe: «Eigentlich eignet sich alles Beheizbare zum Wohnen, wenn man nur will.»

Nachdem er kurz die Erfolgsgeschichten der auf dem Podium vertretenen Genossenschaften nachzeichnete, fragte er die Runde nach dem aktuellen Stand und den Zielen. Philipp Klaus vom Kraftwerk1 wünschte sich mit einem Augenzwinkern an Fred Frohofers Adresse, dass bald alle Bolo'bolos realisiert würden. Ruth Gurny sah die Kalkbreite mit dem aktuellen Zollhaus-Projekt kurz vor der Zellteilung. Zur Zeit liege das Augenmerk auf der Partizipation, einem wichtigen Teil der Kalkbreite-DNA, die dafür sorge, dass ihre Genossenschaft «wach und exzellent» bleibe.
Claudia Thiesen beschäftige sich im Zusammenhang mit der Planung des Hobelwerks der Baugenossenschaft mehr als wohnen in Winterthur mit dem Aufbau eines Netzwerkes, mit den Kontakten zur umliegenden Bevölkerung, die komme und mitdiskutiere. Fred Frohofer schliesslich räumte ein, dass von Nena1 noch keine Liegenschaften existiere, dafür aber eine starke Idee und das grosse Ziel, demnächst für 300 bis 400 Menschen einen neuen ökologischen und bezahlbaren Ansatz des Zusammenlebens zu bauen.

Andreas Wirz frage, ob es eine Konkurrenz zwischen den persönlichen Interessen der Bewohnenden und der kollektiven Intelligenz gebe. Ruth Gurny sprach von den «weissen Räumen», von Räumen in der Kalkbreite, die gemeinsam genutzt würden und deren Nutzung immer wieder neu verhandelt und organisiert werden müsse. Diese Erneuerung tauge als Mittel gegen die innere Erstarrung. Gefragt, wie es denn um die Motivation bei Nena1 stehe, berichtete Fred Frohofer von den Arbeitsgruppen, die stetig an sozialen, ökonomischen und ökologischen Konzepten weiterarbeiteten. Immerhin seien sie zur Zeit 255 Mitglieder und er gehe davon aus, dass es schlagartig 2000 würden, sobald Nena1 Bauland erwerben könne. Sie seien auf jeden Fall bereit.

Auch Philipp Klaus sah für seine Genossenschaft keinen Grund, zu rasten. Es gebe innerhalb der Genossenschaft viel Optimierungspotenzial, technisch, energetisch, organisatorisch und sozial. Das sah auch Ruth Gurny so: Die Kalkbreite arbeite zur Zeit an der 2000-Watt-Zertifizierung und den Konsequenzen, um diesen Standard zu erreichen. Aber auch bezüglich der Baustoffe – Beton sei ein Thema – für künftige Projekte gingen ihnen die Themen nicht aus. Andreas Wirz hakte bei Ruth Gurny nach und wollte von ihr wissen, was es mit dem Hallenwohnen auf sich habe. Dort gehe es darum, die Räume, vor allem die Raumhöhe und die geltenden Bauvorschriften besser zu nutzen. Ausserdem sollen die Bewohnenden die Möglichkeit bekommen, ihren Wohnraum selbst zu gestalten, den Edel-Rohbau selbst auszukleiden. Dabei könne auch die Genossenschaft selbst viel dazulernen, vor allem, wenn es darum gehe, als Labor für neue Wohnbedürfnisse zu dienen. Auch erinnerte sie daran, dass sich die Kalkbreite Genossenschaft nenne, also ohne die Einschränkung «Wohnbau», weil sie die Idee verfolgten, Wohn-, Arbeits- und Kulturraum am selben Ort zu vereinen. Aber Kulturraum sei eben viel risikobehafteter als Wohnungen. Letztere könne man – zu vernünftigen Preisen – in der Stadt Zürich immer vermieten. Auch räumte sie ein, dass neue Ideen, neue Angebote wie beispielsweise Alters-WGs oder grosse Gemeinschaftsräume einen längeren Vorlauf bräuchten, bevor sie begriffen und genutzt würden.

Genutzt wurde der anschliessende Apéro, um in die Details zu gehen und mit den zahlreichen Interessierten Ideen zu diskutieren und Erfahrungen auszutauschen.

Moderation: Andreas Wirz (Vorstand Wohnbaugenossenschaften Zürich)
Podium: Ruth Gurny (Präsidentin Genossenschaft Kalkbreite), Claudia Thiesen (Vorstand BG mehr als wohnen), Fred Frohofer (Co-Päsident Nena1) und Philipp Klaus (Vorstand Kraftwerk1)

Das Eingangsreferat von Andreas Wirz >