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Debatte

Abrissparty? – Nimmt die Gentrifizierung die Hintertür?

12.12.2019 / 19.00–21.00 Uhr

Viele ältere Liegenschaften werden durch grössere Neubauten ersetzt. Die Mieten der neu entstandenen Wohnungen liegen höher. Ist das noch gemeinnützig? Muss das sein, oder gibt es andere Lösungen? Wie das die Bewohnerschaft und das Gesicht der Quartiere verändert und wo die weniger Verdienenden dabei bleiben, stand hier zur Debatte. Im Rückblick...


In ihrer Einführung stellte Marie Glaser vom ETH Wohnforum fest, dass in den vergangenen Jahren mehrere tausend Wohnungen aus dem Altbestand abgebrochen worden seien – so viele wie seit Jahrzehnten nicht mehr. An ihrer Stelle seien neue, in der Regel teurere Wohnungen gebaut worden. Dies habe zweifellos grossen Einfluss auf die Bewohnenden der betroffenen Quartiere.

Anschliessend wurden die Podiumsgäste gebeten, eine kurze Geschichte zu erzählen. Benedikt Loderer machte es sehr kurz: «Eine Wohnung ist erst dann zu teuer, wenn man sie weder vermieten noch verkaufen kann. Und: Die Wohnbaugenossenschaften sind Meister im Verdichten. Aber sie verdünnen.» Sein dritter Satz hörte sich leicht kryptisch an: «Wir sehen dem Wohlstand bei der Arbeit zu.»
Walter Angst erzählte von einem kurdischen Freund, der für Uber arbeite und entsprechend wenig verdiene. Dieser habe sich mit seiner Familie für zwei Wohnungen der ABZ beworben, eine in der Stadt und eine in Opfikon. Jene in Opfikon habe er schliesslich bekommen, verliere nun aber die Ergänzungsleistungen der Stadt Zürich.
Daniel Muff, Geschäftsführer der GEWOBAG, habe sich generelle Gedanken über den Charakter seiner Genossenschaft gemacht: Sie treibe den Gemeinschaftsgedanken voran, schaffe Treffpunkte, habe einen eigenen Chor gegründet und vieles mehr. Auch brachte er den Podiumsteilnehmenden und dem Publikum gleich frische Grittibänze aus der genossenschaftseigenen Bäckerei mit.
ABZ-Präsidentin Nathanea Elte erläuterte, die ABZ sehe sich mehreren Zielen verpflichtet, die sich teilweise in die Quere kämen: Ihre Genossenschaft engagiere sich stark bei der Verfolgung des Drittelsziels der Stadt Zürich (33 % gemeinnützige Wohnungen bis 2050), also für Verdichtung und neue Genossenschafter. Sie sehe sich aber auch verpflichtet, einerseits weiterhin möglichst günstige Wohnungen anzubieten und andererseits alles Mögliche im Zusammenhang mit den Klima-Zielen zu unternehmen. Und dabei auch noch den Ansprüchen ihrer bestehenden Genossenschafterinnen und Genossenschaftern gerecht zu werden.
Katrin Gügler vom Amt für Städtebau sah es nüchtern. Sie stelle fest, dass der grösste Teil der Erneuerung im Bestand stattfinde. Die Industrieareale seien inzwischen fast alle umgenutzt, anders als beispielsweise in Basel und anderen Schweizer Städten. Der Grad der Verdichtung führe nun zu Reaktionen in der Bevölkerung, habe aber auch Folgen auf die Infrastruktur.

Marie Glaser fragte bei Daniel Muff nach, welche Strategien denn die GEWOBAG bei den Erneuerungen verfolge. Seine Genossenschaft beziehe ihre Mitglieder von Anfang an in die Prozesse ein, informiere an General- und Siedlungsversammlungen. Grundsätzlich achte man darauf, dass immer etwa zwei Drittel der Liegenschaften Altbestand blieben, abhängig von deren Bausubstanz und den Nachverdichtungsmöglichkeiten. Die Evaluations- und Informationsphase dauere etwa drei bis fünf Jahre. Anschliessend werde ein Projekt ausgearbeitet und der Generalversammlung zum Entscheid vorgelegt. Bis zur Realisation würden so gut und gerne fünf bis acht Jahre vergehen. Die daraus resultierenden Mietaufschläge (die Differenz zwischen Alt- und Neu-Miete) würden etappiert über mehrere Jahre erhöht. Und bei Härtefällen gebe es Unterstützung durch ihren eigenen Solidaritätsfonds.
Bei der ABZ achte man darauf, so Nathanea Elte, dass die Architekten bei Ersatzneubauten – bei 60 % Verdichtung 90 % mehr Menschen – kleinere, günstige Wohnungen konzipierten. So könne sie auch neue Wohnungen zu tiefen Mieten anbieten.
Katrin Gügler sah das Ganze in einem Zyklus. Neu sei das neue Alt, ständig käme neues nach. Gleichzeitig habe man in der Stadt Zürich eine hohe Wohnungsfluktuation. Und die meisten Umziehenden fänden auch wieder eine Wohnung in der Stadt. Sie frage sich eher, wo Unterstützung geleistet werden müsse und wo Subventionen fliessen sollen. Fraglos werde diese Dynamik mit der fortschreitenden Verdichtung zunehmen.

Walter Angst forderte anschliessend ein Umdenken, zum einen bezüglich der grassierenden Entwurzelung der Menschen, zum anderen hinsichtlich der Idee des klassischen Familienmodells. Man baue noch immer Wohnungen für Familien, obwohl in mehr als der Hälfte der Haushalte nur noch eine oder zwei Personen lebten. Man brauche heute kleinere Wohnungen und andere Grundrisse.

Gefragt, wieviele Mieterinnen und Mieter bei Ersatzneubauten denn am Wohnort blieben, bezifferte Daniel Muff dies mit 50 %. Die anderen erhielten in der Regel zwei bis drei Angebote für vergleichbare Wohnungen. Weitere interessante Zahlen nannte Nathanea Elte: 55 % der ABZ-Genossenschaftsmitglieder hätten ein steuerbares Einkommen von weniger als 40'000 Franken; insgesamt verdienten 80 % weniger als 60'000 Franken.

Dann wandte sich Marie Glaser ans Publikum und lud zu Fragen ein. Gleich als erstes stellte jemand fest, dass ja nicht nur Wohnende verdrängt würden. Ob beispielsweise der Zirkus Knopf auf dem Kochareal Bestandteil der Planung sei. Dies sei durchaus der Fall, als Teil des Projektes der Genossenschaft Kraftwerk1, aber noch nicht definitiv. Ein älterer Herr wandte ein, dass doch nicht immer weiter verdichtet werden müsse. Schliesslich müsste man doch auch auf die Lebensqualität jener Rücksicht nehmen, die bereits da sein. Dieses Votum erinnerte ein wenig an das Das-Boot-ist-voll-Argument, und es berücksichtigt all jene nicht, die ebenfalls in der Stadt wohnen möchten.
Jemand monierte anschliessend, dass die Wohnbaugenossenschaften schliesslich verpflichtet seien, auf die schlechter Gestellten Rücksicht zu nehmen und ihnen Angebote zu machen. Sie forderte, dass die Genossenschaften ihre Hausaufgaben machten.

Über Hausaufgaben, die Schaffung von mehr Platz für mehr Menschen, dauerhaft günstige Mieten, Klimaziele und andere Zielkonflikte wurde anschliessend beim Apéro engagiert weiterdiskutiert. Dabei bemerkte jemand, dass die Diskussion möglicherweise weitaus politischer ausgefallen wäre, wenn ein Vertreter eines kommerziellen Immobilienunternehmens am Podium teilgenommen hätte.

Moderation: Marie Glaser (ETH Wohnforum)
Podiumsteilnehmende: Walter Angst (Mieterinnen- und Mieterverband Zürich), Katrin Gügler (Direktorin Amt für Städtebau), Benedikt Loderer (Stadtwanderer, Architekt und Publizist), Nathanea Elte (Präsidentin ABZ) und Daniel Muff (Geschäftsleiter GEWOBAG)