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Akzent

Heisst «urban» die Stadtgrenze im Kopf?

21.11.2019 / 19.00–21.00 Uhr

Entspricht das Wohnen in einer Genossenschaft nur dem Lebensgefühl von Stadtmenschen? Kann Bülach für Hipster attraktiv sein? Wie lässt sich dieses Gedankenmodel auf ein Projekt in Dübendorf übertragen? Uns interessierte die Sicht der Bewohnenden. Was heisst es, mitten in der Stadt oder eben in einer Agglomerationsgemeinde zu Wohnen? Zum Rückblick...


Was sind die Voraussetzungen, damit Genossenschaftsprojekte nicht zu Inseln von Glückseligen werden, sondern mit der Nachbarschaft in produktivem Austausch stehen? Was können Bewohnende leisten? Was wünschen wir uns von Genossenschaften, von Vereinen und anderen Institutionen und was von der Gemeinde?

Diese Fragen bzw. die Antworten darauf sind deshalb so interessant, weil sie darüber Aufschluss geben, ob die Wohnbaugenossenschaften auch in die Agglomeration und auf dem Land weiterwachsen sollen bzw. können. So fragte Andreas Wirz eingangs, ob sich einerseits das Lebensgefühl «urban» und andererseits die Qualität der Gemeinschaft auch auf andere Gegenden erweitern liesse. Dazu lud er zwei Bewohnende der Baugenossenschaft Kraftwerk1 aufs Podium: Daniela Wettstein, Mitbegründerin dieser Genossenschaft und damit ursprünglich Stadtbewohnerin, heute aber WG-Gründerin und -Bewohnerin von Zwicky-Süd, der letzten fertiggestellten Siedlung von Kraftwerk1 in Dübendorf oder Wallisellen oder beidem, jedenfalls nur 300 Meter von der Stadtgrenze Zürichs entfernt. Und damit schon in der Agglo.

Der zweite Gast war Hans Widmer, der 1983 unter dem Pseudonym P.M. den Dauerbrenner «bolo'bolo» schrieb und heute in der Hardturm-Siedlung von Kraftwerk1 lebt. In seinem Buch skizzierte er bolos, kleine und darum überschaubare Dorfeinheiten von 500 bis 700 Menschen, die autonom agieren. Eine Vielzahl von Ideen aus diesem Buch beeinflussten in verschiedener Form einige der jüngeren Genossenschaften.

Andreas Wirz fragte, ob «bolo'bolo» denn urban sei. Hans Widmer antwortete, urban meine städtisch. Aus ökologischen Gründen müsse das auch so sein. Das Land zu bewohnen, sei nicht ökologisch und nicht ökonomisch. Man brauche dreimal mehr Infrastruktur, habe unausgelastete Buslinien und halbleere Schulen. Und er fügte an, dass das Glück vor 200'000 Jahren vielleicht darin gelegen habe, allein in der Savanne herumzuirren. Heute liege das Glück eher in der städtischen Gemeinschaft. Er hielt aber gleich fest, dass er Zürich nicht für eine Stadt, sondern für ein schlecht geplantes Pendler-Gewusel halte. Man wohne nicht, wo man arbeite und habe somit kein gemeinsames Thema. Auch wohne man beispielsweise im Mobimo-Tower und schaue herunter auf all die kleinen Häuschen und freue sich als Reicher, dass es auch Arme gebe...

Daniel Wettstein stellte die These auf, «Stadt» habe mit Unterschieden und Ballung zu tun. Sie behauptete, somit sei das Zwicky-Süd wesentlich urbaner, als beispielsweise die 1. Siedlung von Kraftwerk1 im Hardturm. Auf dem Zwicky-Areal sei die Genossenschaft – 350 Personen – Teil eines ganzen Quartiers mit über 4'000 Personen und schon eine mittelgrosse Gemeinde für sich. Diese Grenze finde tatsächlich im Kopf statt. Aber da Zwicky-Süd etwa zur Hälfte auf Dübendorfer und Walliseller Boden stehe – im Quartier nicht sichtbar – beginne schon das Problem mit den Grenzen, zum Beispiel durch zwei politisch anders gelagerte Gemeinden. Welchen Einfluss das politische Klima haben könne, so jemand aus dem Publikum, sehe man auch an Uster, wo die Genossenschaftsidee auf fruchtbaren Boden gefallen sei.
Demgegenüber sei die Siedlung von Kraftwerk1 im Hardturm ein verlorenes Dorf, wirkungslos auf den Kreis 5, der in den Augen von Hans Widmer planerisch überhaupt nicht funktioniere. So sei die Siedlung stark auf sich selbst bezogen, weil alles darum herum fehle.

Nachdem Daniela Wettstein kurz die Schwierigkeiten bei der Erstvermietung im Zwicky-Süd schilderte – architektonisch eigentlich auf besser verdienende Hipster zugeschnitten, an einem Ort, an den Hipster nicht hinwollen – bemerkte jemand im Publikum, man habe doch sicher vorher gewusst, wo man da baue. Hans Widmer räumte ein, dass eine Genossenschaft in erster Linie Wohnungen baue und dies noch keine Urbanität herstelle.
Andreas Wirz resümierte, dass man sich generell fragen müsse, ob eine Genossenschaft stark genug sei und tatsächlich leisten könne, was sie sich an einem Ort vorgenommen habe. Er plädierte aber dafür, dass die Gemeinnützigen einfach überall klein anfangen und «dranbleiben» müssten, auch bei teilweise langwierigen Prozessen, um sich bietende Gelegenheiten beim Schopf packen zu können.

Moderation: Andreas Wirz (Vorstand Wohnbaugenossenschaften Zürich)
Podium: Hans Widmer (alias P.M., Verfasser von bolo'bolo) und Daniela Wettstein (ehem. Vorständin Kraftwerk1 und WG-Gründerin im Zwicky-Süd).

Kurz-Einführung zum Download >